EU-Mercosur-Abkommen ist Ausdruck eines nicht mehr zeitgemäßen Wirtschaftsmodells
Als kirchliche Organisationen, die seit Jahrzehnten mit bäuerlichen Gemeinschaften und Partnerorganisationen im Globalen Süden und in Österreich zusammenarbeiten, nehmen Welthaus und die KOO zum WIFO-Medienchat Stellung. Dieser zeichnet ein einseitiges Bild des EU-Mercosur-Abkommens: Mögliche wirtschaftliche Chancen werden hervorgehoben, die erheblichen Risiken jedoch weitgehend ausgeblendet. Moderne Handelspolitik darf sich aber nicht an minimalen Wachstumszahlen orientieren, sondern vor allem an sozialer Gerechtigkeit, ökologischer Verantwortung und Menschenwürde.
Minimales Wirtschaftswachstum – gefährdete Arbeitsplätze
Die offiziellen Prognosen der EU zeigen, dass das Abkommen für die nächsten Jahre nur ein kumulatives Wachstum von 0,1 Prozent in der EU erzeugen würde – praktisch nicht wahrnehmbar. Gleichzeitig wären aber – nach Studien auf Basis der EU-Folgenabschätzung – bis zu 120.000 Arbeitsplätze gefährdet, davon rund 1.200 in Österreich. „Das Abkommen trägt somit nicht zur Lösung aktueller wirtschaftlicher Herausforderungen bei, sondern erhöht soziale Verwundbarkeiten – besonders in der Landwirtschaft“, sagt Oliver Keller vom Welthaus.
Landwirtschaft unter massivem Wettbewerbsdruck
Bäuerinnen und Bauern produzieren unter hohen Qualitäts-, Umwelt- und Tierschutzstandards, die sozial erwünscht und politisch definiert sind. Demgegenüber wird Fleisch in Mercosur-Staaten zu einem Bruchteil dieser Kosten produziert, häufig unter Bedingungen, die in Europa unzulässig wären. Die vorgesehenen Schutzklauseln im EU-Mercosur-Abkommen greifen zu spät, sind zu eng definiert und lassen kaum Handlungsspielraum. Laut der Europäischen Koordination Via Campesina (ECVC) dienen sie in erster Linie dazu, das Abkommen politisch als „ausgewogen“ erscheinen zu lassen, ohne tatsächlich regionalen oder strukturellen Marktverwerfungen entgegenzuwirken. Die Folge sind Preisdruck, Betriebsaufgaben und ein beschleunigter Verlust bäuerlicher Vielfalt.
Umwelt- und Klimafolgen im Widerspruch zu EU-Zielen
Das Abkommen wird die Nachfrage nach Rindfleisch, Soja und Ethanol ankurbeln und damit erhebliche ökologische Folgen nach sich ziehen. Es ist zu erwarten, dass die Entwaldung in besonders sensiblen Ökosystemen wie Amazonas, Cerrado und Gran Chaco weiter voranschreitet, verbunden mit steigenden Treibhausgasemissionen aus Produktion und Transport. „Der Verlust von Biodiversität und natürlichem Lebensraum in diesen hoch sensiblen Gebieten wird massiv zunehmen. Zusätzlich würde der Handel mit Pestiziden, der in der EU aus Gründen des Umwelt- und Gesundheitsschutzes verboten ist, vorangetrieben“, so Anja Appel, Leiterin der Koordinierungsstelle der Österreichischen Bischofskonferenz (KOO). „Diese Entwicklungen fördern illegale Abholzung, Landraub und die Verdrängung indigener Gemeinschaften und sind somit widersprüchlich zum European Green Deal und auch zu den europäischen Klimazielen“, so Appel weiter.
Schwacher Schutz für Menschen- und Arbeitsrechte
Menschenrechtsorganisationen dokumentieren seit Jahren schwerwiegende Verletzungen von Arbeits- und Menschenrechten in mehreren Mercosur-Staaten: von prekären Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft bis hin zu Gewalt gegen indigene Gemeinden. Dennoch verzichtet das Abkommen bewusst auf verbindliche Sanktionsmechanismen und ermöglicht damit weiterhin den Handel selbst bei bestehenden Menschenrechtsverstößen. „So droht Europa seine eigenen Prinzipien – wie Menschenwürde, Rechtsstaatlichkeit und soziale Standards – zu relativieren und diese Verletzungen durch wirtschaftliche Vorteile indirekt zu fördern“, meint Keller.
Fazit
Das EU-Mercosur-Abkommen ist Ausdruck eines nicht mehr zeitgemäßen Wirtschaftsmodells, das hohe soziale und ökologische Kosten verursacht, während der tatsächliche ökonomische Nutzen marginal bleibt. Stattdessen braucht es eine Stärkung regionaler Wertschöpfung, faire Handelsbeziehungen auf Augenhöhe, klare soziale und ökologische Mindeststandards im internationalen Handel sowie eine klima- und ressourcenverträgliche Agrar- und Wirtschaftspolitik, die langfristige Stabilität und Gerechtigkeit sicherstellt.
