Kann der Schuldenteufelskreis gestoppt werden?
Während des vierten und letzten preperatory Commitee Meetings (Vorbereitungsverhandlungen für die Financing for Development Konferenz im Juni/Juli) bei der UN in New York wurde klar, dass neue massive Herausforderungen von Ländern des Globalen Nordens anders beantwortet werden als von Ländern des Globalen Südens. Dazu gehören die Streichungen von USAID ebenso wie die starken Kürzungen von Entwicklungsgeldern in einigen EU-Ländern sowie die Zollerhöhungen der USA, alles Maßnahmen, die fragile Länder des Globalen Südens überproportional schwer treffen.
Die EU und viele andere OECD-Staaten sind der Meinung, dass der Ausfall von öffentlicher Entwicklungsfinanzierung vor allem durch eine stärkere Mobilisierung privater Ressourcen aufgefangen werden kann. Währenddessen sind für viele Regierungen des Globalen Südens Steuergerechtigkeit und Entschuldung bedeutender, denn eine verstärkte internationale Steuerkooperation würde zur Bekämpfung illegaler Finanzströme beitragen und Ländern des Globalen Südens mehr Steuereinnahmen ermöglichen. Auch für die zunehmende Bedeutung des Schuldenthemas gibt es gute Gründe, wie nachfolgend dargelegt werden soll:
Insgesamt 130 Länder des globalen Südens sind hoch verschuldet, und 3,3 Milliarden Menschen - siebenmal so viel wie die Bevölkerung der Europäischen Union - leben in Ländern, die mehr für Zinszahlungen ausgeben als für Gesundheit oder Bildung. Überall im Globalen Süden geben die Regierungen mehr Mittel für den Schuldendienst aus als für wichtige Klimainvestitionen, obwohl die Klimakrise eskaliert.
Die Schulden- und Austeritätspolitik von IMF und Weltbank zwingen die Länder des Globalen Südens dazu, sich zwischen der Bedienung ihrer Schulden und der Unterstützung ihrer Bevölkerung zu entscheiden. In der Praxis bedeutet dies häufig den Abbau öffentlicher Dienstleistungen, Lohnkürzungen im öffentlichen Sektor und die Umsetzung neoliberaler Reformen wie Privatisierungen z.B. von Wasserversorgung und Gesundheit, mit besonders schwerwiegenden Auswirkungen auf Frauen und Mädchen. Selbst die Weltbank räumt ein, dass die steigende Schuldenlasten zu sinkenden öffentlichen Ausgaben für Landwirtschaft, Umwelt und Bildung führen. Um eine Zahlungsunfähigkeit zu vermeiden, werden häufig Sparmaßnahmen ergriffen, oft unter der Drohung, den Zugang zu den internationalen Finanzmärkten zu verlieren. Doch in Wirklichkeit haben die meisten Länder mit niedrigem Staatseinkommen bereits jetzt keinen Zugang zu erschwinglichen und „verantwortungsvollen“ Finanzierungen, so dass sie nicht verlieren können, was sie nicht haben. Es handelt sich nicht um eine vorübergehende Krise, sondern um eine strukturelle Falle. Die Länder bleiben in einem permanenten Kreislauf der Verschuldung gefangen, in dem Sparmaßnahmen zur ständigen Bedingung für den Zugang zu knappen Finanzmitteln öffentlicher und privater Kreditgeber werden. Diese Maßnahmen erodieren die öffentlichen Institutionen, verstärken die soziale und geschlechtsspezifische Ungleichheit und verfestigen die Armut über Generationen hinweg - alles zum Schutz der Interessen der Gläubiger.
Hohe Kosten für Kreditaufnahme im Globalen Süden
Die Verschuldung ist für die Länder des Globalen Südens viel teurer als für die Länder des Globalen Nordens, denn sie müssen oft Kredite zu Zinssätzen aufnehmen, die bis zu viermal höher sind als die der Vereinigten Staaten und bis zu 12-mal höher als die Deutschlands. Noch höher sind die Kosten für klimaanfällige Länder, die mit zusätzlichen Risikoprämien bestraft werden. In den letzten zehn Jahren haben diese klimabedingten Prämien zu zusätzlichen Zinszahlungen in Höhe von 40 bis 60 Milliarden US-Dollar geführt. Viele Länder zahlen privaten Gläubigern inzwischen Zinssätze von über 10 Prozent zurück. Der jüngste, von den USA angezettelte Handelskrieg wirkt sich ebenfalls auf die Zinssätze für künftige Kreditaufnahmen aus. In der ersten Aprilwoche 2025 stiegen die Zinssätze in mindestens 20 Ländern auf durchschnittlich 12 %, nachdem die Erhöhung der Einfuhrzölle angekündigt worden war. Die Kreditgeber rechtfertigen die hohen Zinssätze damit, dass die Kreditvergabe an Länder des Globalen Südens riskant ist. Doch wenn Länder in Verzug geraten, verlangen die Gläubiger trotzdem die volle Rückzahlung. Ein Zahlungsausfall führt daher nicht zu einem sinnvollen Schuldenerlass und selbst wenn Umschuldungsvereinbarungen getroffen werden, gelten sie in der Regel nur für einen begrenzten Teil der Gesamtschulden eines Landes.
Wer profitiert von diesen Schulden?
Die öffentliche Auslandsverschuldung des globalen Südens wird von drei Hauptgruppen von Gläubigern geschuldet:
→Private Gläubiger, darunter Anleihegläubiger, Investmentfonds und Banken
→Bilaterale Gläubiger, darunter Regierungen aus dem globalen Norden sowie Länder wie China, Indien und Saudi-Arabien
→Multilaterale Gläubiger, wie der IWF, die Weltbank und andere regionale und multilaterale Entwicklungsbanken
Der größte Teil der Schulden des globalen Südens, nämlich 51 Prozent, wird von privaten Gläubigern verliehen. Dazu gehören Investmentfonds wie BlackRock und seine Anleihegläubiger, internationale Banken wie HSBC und Rohstoffhändler wie Glencore, die nicht bereit sind, einen Schuldenerlass zu gewähren. Während China als einer der Hauptgläubiger für einige Länder in der Schuldenkrise große Aufmerksamkeit erhält, ist China im Durchschnitt nicht der wichtigste Gläubiger für Länder des globalen Südens. Zwischen 2020 und 2025 gingen nur 13 Prozent der Schuldenzahlungen von 84 Ländern des globalen Südens an chinesische öffentliche und private Kreditgeber, verglichen mit 39 Prozent der Zahlungen an nicht-chinesische private Gläubiger. Unter den bilateralen Gläubigern ist China mit einem Anteil von rund einem Drittel an den bilateralen Schulden des globalen Südens der größte. Es folgen Japan (21 Prozent) und die europäischen Länder zusammen (17 Prozent). Die dritte wichtige Gläubigergruppe sind multilaterale Institutionen, darunter die Weltbank, andere Entwicklungsbanken und der IWF. Mehr als ein Drittel der Schulden des globalen Südens entfallen auf diese Institutionen. Sie beanspruchen nach wie vor den Status eines bevorzugten Gläubigers - was bedeutet, dass sie zuerst bezahlt werden müssen - und weigern sich, sich an Umschuldungs- oder Erlassmaßnahmen zu beteiligen.
Deshalb ist es auch wichtig, dass in europäischen und anderen Gläubigerländer Gesetze erlassen werden, die sicherstellen, dass private Kreditgeber am Schuldenerlass beteiligt werden, um zu verhindern, dass private Gläubiger, die sich nicht an der Umschuldung beteiligen, diese blockieren, und um eine vergleichbare Behandlung von öffentlichen und privaten Gläubigern durchzusetzen.
Schuldenarchitektur: ein Knackpunkt in den Verhandlungen
Die Verschuldung der Entwicklungsländer ist in den zehn Jahren seit der FfD3 in Addis Abeba buchstäblich explodiert.
Der Sprecher der Afrika-Gruppe bei den Vereinten Nationen eröffnete das Forum für Entwicklungsfinanzierung, das diesmal in Verbindung mit der letzten Sitzung des FfD4-Vorbereitungsausschusses stattfand, mit einem anschaulichen und drastischen Vergleich: Mehr als 90 Prozent der afrikanischen Länder müssen heute einen höheren Anteil ihrer Exporteinnahmen für den Schuldendienst aufwenden als das Nachkriegsdeutschland unter den Bedingungen des Londoner Schuldenabkommens von 1953.
Ein maximaler Anteil von 3 Prozent - zahlbar nur, wenn Deutschland Exportüberschüsse erzielte - galt damals als Obergrenze dessen, was möglich war, wenn ein Land seine Wirtschaft wieder aufbauen wollte. Dies ist wahrscheinlich immer noch der Fall, was Afrikas Misere erklärt: Das derzeitige Verschuldungssystem entzieht knappes Kapital, macht die Gläubiger reich und hält die Entwicklungsländer arm.
Eine grundlegende Reform der Schuldenarchitektur wird von uns als der wichtigste Verhandlungspunkt bei den letzten Vorbereitungen für den Gipfel in Sevilla angesehen. Der Forderungskatalog der Entwicklungsländer umfasst die Einrichtung einer globalen Schuldenbehörde und eines zwischenstaatlichen Prozesses bei den Vereinten Nationen, der zu einem multilateralen Schuldentilgungsmechanismus führen könnte, vielleicht im Rahmen eines umfassenden UN-Übereinkommens über Staatsschulden, das einige Parteien gefordert hatten. Der Prozess selbst ist bereits im jüngsten Verhandlungstext vorgesehen, was jedoch nicht bei allen Parteien auf Begeisterung stieß. Und das, obwohl selbst die EU-Verhandlungsführer der Meinung sind, dass Fortschritte bei der Reform der Schuldenarchitektur ein Schlüsselkriterium für den Erfolg der FfD4 sind.
Ende April hat die KOO gemeinsam mit 247 zivilgesellschaftlichen Organisationen, Wissenschaftler*innen und Entwicklungsexpert*innen aus Europa und der ganzen Welt einen Brief unterzeichnet, in dem eine Transformation der Finanzarchitektur gefordert wird und die EU und ihre Mitgliedsstaaten aufgefordert werden, im multilateralen System Verantwortung zu übernehmen und zu einer fairen und demokratischen globalen Wirtschaftsordnung beizutragen.
Quellen:
https://www.globalpolicy.org/en/news/2025-05-08/hurdles-way-sevilla