
Vatikan-Experte Politi: Noch kein klarer Favorit für die Papstwahl
Der Vatikan-Experte und Autor Marco Politi sieht noch keinen Favoriten für die anstehende Papstwahl. Zugleich bezeichnet er im Interview mit der Kooperationsredaktion der österreichischen Kirchenzeitungen (Ausgaben 23. April) die Ausgangslage für die Kirche als "dramatisch spannend". Es brauche einen Mann der Mitte mit Charisma, so Politi. Die Zeit für einen Papst aus Afrika sieht er eher noch nicht gekommen.
Die ultrakonservativen Gruppen in der Kirche sind laut Politi stark, etwa 30 Prozent der Bischöfe würden dazu gehören. Die Reformer seien etwas weniger, etwa 25 Prozent. Und dann gebe es eine breite Mitte, die schwankt. Deswegen werde es auch schwierig, einen Nachfolger für Franziskus zu finden, denn, so Politi: "Man sucht wohl eine Figur der Mitte, also nicht einen Franziskus II.". Dafür gäbe es keine Mehrheit.
Franziskus selbst habe halb im Scherz auf seiner Reise in die Mongolei im Jahr 2023 von einem "Johannes XXIV." als Nachfolger gesprochen. Das wäre so eine Idealfigur, so Politi: "Man sucht eine Seelsorger-Persönlichkeit, die versuchen muss, die verschiedenen Teile der Kirche wieder zusammenzubringen, die einen vorsichtigen Reformkurs fährt und auch das Kirchenrecht anpasst. Denn man sieht, dass die Struktur der Kirche, die absolutistische Monarchie des Tridentinischen Konzils, nicht mehr funktioniert."
Die Ausgangslage sei für die Kirche "dramatisch spannend, denn die Richtungen sind so auseinandergegangen, dass es schwierig ist, sich auf einen Namen der Mitte zu einigen, auf eine Persönlichkeit, die Charisma hat". In der modernen Gesellschaft müsse eine Führungspersönlichkeit Charisma haben, "also Begeisterungsfähigkeit und Ausstrahlung", so der Vatikan-Experte: "Deswegen muss man einen Papst finden, der so ist wie Johannes Paul II., Paul VI., Johannes XXIII. oder Franziskus. Nicht wie Benedikt XVI. zum Beispiel, der ein Intellektueller war, ein großer Theologe, der es aber nie geschafft hat, eine richtige Beziehung zu breiten Teilen der Gesellschaft und des Kirchenvolkes aufzubauen."
Einige Kardinäle hätten ihm privat gesagt, mehr denn je werde man den Papst erst im Konklave finden, "also im letzten Moment, wenn man eingeschlossen ist". Denn bis jetzt habe sich keine Figur herauskristallisiert, über die man sagen könnte, "ja, das ist wirklich ein 'Frontrunner', wie es die Amerikaner nennen. Also einer, der schon jetzt in den vordersten Reihen läuft."
Nach dem Tod Johannes Pauls II. habe man zum Beispiel sagen können: "Wir wissen zwar nicht, ob Ratzinger gewählt wird oder nicht, aber Ratzinger ist eine Figur, an die man denken muss im nächsten Konklave." So einen Namen habe man derzeit nicht. Nachsatz: "Wer auch immer es wird, muss eine Beziehung zu vielen Teilen der katholischen Kirche aufbauen können."
Mögliche Kandidaten
Politi analysiert schließlich doch noch einige mögliche Kandidaten wie etwa Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin. "Das ist eine sensible Persönlichkeit, die die Kurie gut kennt, offen, moderat, reformorientiert, die aber die verschiedenen Teile wieder zusammenbringen könnte." Es gebe zudem verschiedene Namen von Persönlichkeiten, die etwas zu sagen hätten. Etwa Kardinal Matteo Maria Zuppi, der Vorsitzende der Italienischen Bischofskonferenz, der auch auf Friedensmission in der Ukraine, in Russland, in Amerika und in Peking war. Oder Kardinal Jean-Claude Hollerich, der Generalrelator bei der Weltsynode war. "Das ist eine Persönlichkeit, die die europäische Krise der Kirche sehr gut kennt, Hollerich lebt ja in Luxemburg. Er kennt die Problematik der Jugend, die Sehnsucht nach einer neuen Form des Glaubens."
Weitere Kandidaten wären Kardinal Pierbattista Pizzaballa, der Patriarch von Jerusalem, Kardinal Jean-Marc Aveline von Marseille, oder Kardinal Jose Tolentino de Mendonca, Präfekt des Dikasteriums für die Kultur und die Bildung, oder Kardinal Juan Jose Omella von Barcelona.
Es habe sich aber bisher kein Name herauskristallisiert, "von dem man sagen kann, das ist ein Kardinal, hinter dem eine starke Gruppe steht". Dafür könne man aber wohl sagen, "wahrscheinlich ist die Zeit für einen afrikanischen Papst noch nicht gekommen". Aber Kardinal Fridolin Ambongo Besungu, der Präsident der Bischofskonferenzen in Afrika, werde ein "Kingmaker" sein, "also ganz bestimmt einen großen Einfluss im Konklave haben", zeigt sich Politi überzeugt.
Quelle: kathpress