
Wien: Fachtagung über Tabus Menschenhandel und Zwangsprostitution
Die "Plattform gegen Ausbeutung und Menschenhandel" hat am Donnerstag zur Feier ihres 10-jährigen Bestehens eine Fachtagung mit heimischen Hilfsorganisationen und internationalen Expertinnen und Experten im Juridicum in Wien veranstaltet. Themen waren unter anderem das Tabuthema sexuelle Ausbeutung, Zwangsheirat, Kinderarbeit und die Situation von Opfern von Menschenhandel in Österreich. "Wir wollen uns nicht gern mit der Realität auseinandersetzen. Zwangsprostitution ist in unserer Gesellschaft ein Tabuthema, sowie keine Frau wissen will, dass ihr Mann zu einer Prostituierten geht", äußerte sich etwa Sr. Anna Mayrhofer, Leiterin von "Solwodi Österreich", im Interview mit Kathpress.
Die Ordensfrau und Sozialarbeiterin machte zudem darauf aufmerksam, wie schwierig es für Opfer von Menschenhandel in Österreich ist, sich von ihren Peinigern zu befreien. "Es gibt in Österreich Gesetze für Opferschutznahmen", so Mayrhofer, doch die Praxis der Durchsetzung sehe oft anders aus. Der von ihr geleitete und von Ordensfrauen getragene Verein "Solwodi" unterstützt Frauen und Kinder, die von Gewalt in Form von Menschenhandel und sexueller Ausbeutung betroffen sind.
Aus ihrem Berufsalltag berichtete Sr. Mayrhofer, dass sie ihren Klientinnen aus Drittstaaten leider nicht garantieren könne, dass sie bei Aussage in einem Prozess sicher einen Aufenthaltsstatus oder einen Zugang zum Arbeitsmarkt in Österreich bekommen. "Das hängt davon ab, ob sie als Zeuginnen für die Justiz relevant sind", erklärte Mayrhofer.
Schulungen in Sachen "Credibility"
Dabei spiele die Glaubwürdigkeit der Opfer eine große Rolle, erklärte Maryam Alemi, Rechtsberaterin bei der Caritas der Erzdiözese Wien und Vortragende beim Symposium, im Kathpress-Interview. Behörden schenkten ihren Aussagen oft keinen Glauben, weil sie kaum Beweismittel aufbringen könnten. "Die Betroffenen werden von den Menschenhändlern ja bewusst im Dunkeln gehalten. Sie kennen die Namen ihrer Peiniger nicht, wissen nicht, wo sie untergebracht werden und können darum nur vage Aussagen treffen", so die Anwältin. Es brauche darum Schulungen für Behörden bezüglich "Credibility" und eine bessere Früherkennung, um beim Asylverfahren besser nachschärfen zu können.
Viele Betroffene würden zudem keine Strafanzeige erstatten wollen, weil die Gerichtsverfahren für sie belastend und mit emotionalem Stress verbunden seien. "Hier braucht es viel Zeit und Unterstützung, damit sie Mut haben, dennoch auszusagen - und dass sie bei Nichtaussage dennoch ein Recht auf medizinische Versorgung und Grundversorgung haben und auch einen Aufenthaltstitel bekommen", forderte Alemi. Eine gute Rechtsberatung sei entscheidend, um internationalen Schutz zu bekommen. Jene der Caritas könne in 70 Prozent aller Fälle helfen.
Zwangsheirat und Loverboys
Am Vormittag standen im Juridicum Wien Vorträge und Workshops für Schülerinnen und Schüler unter dem Titel "Was tun gegen Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen" auf dem Programm. Nachmittags widmeten sich Vorträge der Frage, wie Opfern von Menschenhandel - entsprechend den Vorgaben der einschlägigen Europaratskonvention - eine Zukunftsperspektive in Österreich geboten werden kann. Wie die Plattform selbst stand die Veranstaltung im Zeichen der Vernetzung engagierter Akteurinnen und Akteure sowie des Austauschs und der Entwicklung gemeinsamer Ansätze gegen Menschenhandel.
Zwangsheirat, Verwandtschaftsgewalt und Loverboys, die Mädchen gezielt emotional abhängig machen, um sie später zu prostituieren, waren am Vormittag Thema. Neben Najwa Duzdar vom Verein "Orient Express" und Sabine Kallauch vom Verein "KAVOD" referierte auch Reinhard Heiserer, Geschäftsführer der Hilfsorganisation "Jugend Eine Welt", über Arbeitsausbeutungsformen von Kindern und Jugendlichen. "Wir sollten uns alle bewusst machen, dass es im Globalen Süden Kinderarbeit gibt, um unseren Wohlstand zu erhalten", betonte Heiserer im Interview mit Kathpress.
Politisch Druck aufbauen
Unter anderem am Beispiel von Produkten in heimischen Haushalten, die in ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen produziert werden, regte Heiserer dazu an, über das eigene Konsumverhalten nachzudenken. Ob Tee, Kaffee, Palmöl, Studentenfutter, Weihrauch, Bekleidung oder Laptop, Handy und sogar KI - hinter all diesen Produkten stünden Kinderarbeit und Ausbeutung. "All diese Dinge, die unser Leben schöner machen oder erleichtern, müssen aus fairem Handel kommen und sollen nicht die Umwelt belasten", so seine Forderung. Dazu könne jeder mit seinem Lebensstil beitragen, "denn egal wo Umweltschmutz verursacht wird, wir haben nur diese eine Welt und eine Ozonschicht".
Wichtig sei vor allem, Druck auf die Politik und die Einkäufer von Rohstoffen auszuüben und ein wirksames Lieferkettengesetz, erklärte Heiserer im Interview. "Kunden mit weniger Geld können sich nicht immer aussuchen, ob sie ein Produkt ohne Palmöl kaufen, wenn dieses teurer ist." Außerdem dürfe man nicht müde werden, auf das Thema aufmerksam zu machen. "Es ist erst 100 Jahre her, dass Schwabenkinder aus armen Bergbauernfamilien auf den Ravensburger Sklavenmarkt geschickt und vor bayrischen Bauern wie im Zirkus ausgestellt wurden", erinnerte Heiserer. Die Kinder, oft zwischen 6 und 14 Jahren alt, wurden für landwirtschaftliche Arbeiten wie das Hüten von Vieh eingesetzt. "In der Zwischenkriegszeit wurde diese Praxis gestoppt, als amerikanische Zeitungen berichtet haben, dass es in Bayern einen Sklavenmarkt gibt", so Heiserer. So müsse auch heute politischer Druck aufgebaut werden, um Ausbeutung in anderen Ländern auszurotten.
Diskutanten
Beim Symposium diskutierten unter anderem Georg Stillfried, Leiter der Sektion für konsularische Angelegenheiten im Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten (BMEIA) und nationaler Koordinator zur Bekämpfung des Menschenhandels, Julia Koffler-Pock von der Staatsanwaltschaft Wien, Markus Zingerle vom Männergesundheitszentrum MEN - Bereich Opferschutz im Projekt MEN VIA, sowie Bärbel Heide Uhl, Politikwissenschaftlerin und Expertin für europäische Menschenhandelspolitik.
Der "Plattform gegen Ausbeutung und Menschenhandel" gehören von kirchlicher Seite u.a. die Caritas der Erzdiözese Wien, die Diakonie, der Orden der Salvatorianer und die Steyler Missionsschwestern, die Wiener Katholische Frauenbewegung, der Wiener Katholische Akademikerverband und Solwodi-Österreich an. (Website: www.gegenmenschenhandel.at)
Quelle: kathpress