
Jerusalemer Abt: "Wir erleben eine Niederlage der Menschlichkeit"
Eine "Niederlage der Menschlichkeit" stellt dem Abt der Jerusalemer Dormitio-Abtei, Nikodemus Schnabel, zufolge die Situation in Gaza dar. "Ich mag nicht glauben, dass es keine Alternative zum Töten gibt", sagte der seit 22 Jahren in Jerusalem lebende Ordensmann im Interview mit der Linzer "KirchenZeitung". Als Teil der christlichen Minderheit sei er nicht parteiisch: "Wir sind nicht pro Israel, wir sind nicht pro Palästina. Wir sind pro Mensch." Es ist zwar herausfordernd, Christ im Heiligen Land zu sein, "aber es verbietet sich eine Schwarz-Weiß-Malerei", so Schnabel.
Kritik übte der Abt der deutschsprachigen Benediktiner im Heiligen Land auch an den Verantwortungsträgern im Nahen Osten: "Viele Aussagen von Politikern sind eine billige Ausrede, sich nicht an den Verhandlungstisch zu begeben." Zur Zukunftsperspektive sagte Schnabel: "Es muss die Grundsehnsucht sowohl Israels nach Sicherheit als auch Palästinas nach Freiheit ernst genommen und umgesetzt werden. Das ist möglich. Aber dazu braucht es die Rückkehr an den Verhandlungstisch." Der Nahe Osten habe aber schon viele Wunder erlebt.
Aktuell erlebe das Heilige Land eine "unvorstellbare Enttabuisierung der Gewalt", die auch Gegner entmenschlicht und dämonisiert. Der Abt stellte dem das biblische Motiv der Gottesebenbildlichkeit des Menschen gegenüber. "Auch im Koran wird der Mensch als Stellvertreter Gottes bezeichnet. Das verbindet Christen, Juden und Muslime. Und ich erinnere an die Erklärung der Menschenrechte", so Schnabel.
Seit dem Hamas-Angriff vom 7. Oktober 2023 und der darauf folgenden israelischen Militäraktion im Gazastreifen befinde sich die Benediktinerabtei im Ausnahmezustand, so Schnabel. "Oft sitzen wir gerade beim Essen, und dann ist Raketenalarm. Wir müssen alles liegen und stehen lassen und in den Bunker. Oder wir sind gerade mitten im Gebet." Dennoch sei für die Gemeinschaft klar gewesen: "Wir bleiben, wir verrichten in Treue unser Chorgebet und feiern Gottesdienst."
"Wir sind keine Schönwettermönche", betonte Schnabel. Trotz der Herausforderungen habe sich seine Gemeinschaft vertieft: "Wir befinden uns als Kommunität in einer geistlichen Wachstumsphase." Selbst ein Novize sei aufgenommen worden, es gäbe auch einen weiteren Interessenten.
Mit Blick auf die Finanzierung des Hauses, das sich u.a. durch Pilger finanziert, die seit Oktober 2023 "so gut wie völlig ausbleiben", informierte Schnabel, dass die Mönche bisher keinen der 24 Angestellten entlassen haben, sondern sich gemeinsam entschieden haben, auf ihren Pensionsfonds zuzugreifen.
Angesichts der derzeitigen Situation bemühe sich seine Gemeinschaft, "Inseln der Hoffnung" zu sein. Die Klöster hätten ihre Gastfreundschaft bewusst ausgeweitet - für Künstler ebenso wie für behinderte Menschen. "Der Krieg ist auch brutal, was behinderte Menschen anbelangt. Sie werden rasch vergessen", so Schnabel. Umso wichtiger sei es, Räume der Menschlichkeit offenzuhalten. "Es entsteht auch ein neuer interreligiöser Freundeskreis", berichtete er.
Quelle: kathpress