
Hilfswerke: Umsetzung der Behindertenrechte "nur Stückwerk"
Mit der Protestaktion "Baustelle Inklusion: Jeder Artikel zählt" haben der Österreichische Behindertenrat und mehrere Hilfsorganisationen am Montag vor dem Wiener Parlament die Regierung auf Versäumnisse in der Behindertenpolitik aufmerksam machen wollen. Am Europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen haben die Organisationen im Verbund um 9 Uhr eine zehnstündige Lesung der UN-Behindertenrechtskonvention vor dem Hohen Haus gestartet, um Druck zu deren Umsetzung zu machen. Wort für Wort werden die Artikel verlesen, "denn jeder Artikel steht für ein Recht, das Menschen mit Behinderungen zusteht - und das in Österreich noch zu oft ignoriert wird", hieß es seitens der Veranstalter. Die Veranstaltung dauert noch bis 19 Uhr.
"Österreich hat vor 17 Jahren die UN-Behindertenrechtskonvention unterzeichnet", erklärte Klaus Widl, Präsident des Österreichischen Behindertenrats, bei der Eröffnung der "Baustelle Inklusion". Damit habe sich Österreich verpflichtet, die in der Konvention verbrieften Menschenrechte von Menschen mit Behinderungen umzusetzen. "Trotzdem gibt es hier noch viele Baustellen", so seine Kritik. Der Verband fordere "die vollständige Umsetzung unserer Menschenrechte". Und zwar so, "wie sie in der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen festgeschrieben sind", betonte Widl. Alle müssten hier zusammenarbeiten, betonte Literaturbotschafter Ron Pfennigbauer.
Die Aktivistin Dorothea Brozek machte auf die jüngste Gewaltstudie aufmerksam. Diese habe gezeigt, dass 72 Prozent der befragten Menschen mit Behinderungen physische Gewalt im institutionellen Kontext erlebten. Jede zweite Person mit Behinderung ist sexueller Gewalt ausgesetzt, und acht von zehn Menschen mit Behinderungen sind von Formen der Gewalt betroffen. "Strukturen der Abhängigkeit und fehlende Selbstbestimmung bleiben zentrale Risikofaktoren", erklärte Brozek und forderte "echte Wahlfreiheit, De-Institutionalisierung und Persönliche Assistenz als Menschenrecht".
Umsetzung nur "Stückwerk"
Die beteiligten Organisationen hielten gemeinsam fest, dass die Umsetzung der 50 Artikel umfassenden UN-Behindertenrechtskonvention auch 17 Jahre nach Ratifizierung "nur Stückwerk" bleibe. Defizite gebe es zahlreiche, "wie auch bei der letzten Staatenprüfung im Sommer 2023 durch den zuständigen UN-Fachausschuss festgestellt wurde", so der Verbund. In den vergangenen Jahren habe es punktuell sogar Rückschritte gegeben, hieß es weiter. Das betreffe etwa die Standards für den barrierefreien Wohnbau, wie auch vom UN-Fachausschuss "mit Besorgnis" festgestellt worden sei.
In anderen Bereichen wie bei inklusiver Bildung, Zugang zum Arbeitsmarkt oder politischer Partizipation sehe es ähnlich aus. Erschwert werde die Sachlage dadurch, dass die verschiedenen Themen in unterschiedliche Zuständigkeiten (Gemeinde, Bundesländer, Bund) fallen und folglich die Entscheidung über dringende Maßnahmen "hinausgezögert bzw. hin- und hergeschoben" würden. "Die Politik muss die Verpflichtungen aus der UN-BRK endlich ernst nehmen - nicht nur im Bund, sondern auch auf Landes- und Gemeindeebene", lautete die Forderung.
"Unsere Geduld ist am Ende" und "Inzwischen machen wir uns international lächerlich", fand Cornelia Scheuer, Vorstandsmitglied bei BIZEPS - Zentrum für Selbstbestimmtes Leben, scharfe Worte bei ihrer Lesung. Sie zitierte zentrale Passagen aus der Konvention - darunter das Recht auf Gleichstellung, politische Teilhabe und barrierefreien Zugang zu Kultur, Freizeit und Sport. Besonders betonte sie die Situation von Frauen mit Behinderungen, "die mehrfach diskriminiert werden und endlich gezielte Unterstützung brauchen".
An der öffentlichen Aktion beteiligt waren der Österreichische Behindertenrat, Lebenshilfe Österreich, ÖZIV Bundesverband, Diakonie, Caritas Österreich, Caritas Wien, Dachverband Berufliche Inklusion Austria, Jugend am Werk, KOBV, Ohrenschmaus, BIZEPS - Zentrum für Selbstbestimmtes Leben und SLIÖ.
Quelle: kathpress