
Experten: Weltkriegsgedenken muss auch Gegenwart in Blick nehmen
Vor einer Aushöhlung des Gedenkens an die Shoah und den Zweiten Weltkrieg haben Expertinnen und Experten bei einer Veranstaltung an der Universität Innsbruck gewarnt. Nur wenn das Gedenken nicht zu einem hohlen Formalakt politischer Akteure werde, könne es noch orientierende Kraft für die Gegenwart entfalten, führte der Zeitgeschichtler Dirk Rupnow aus. Dies sei mit dem Konzept einer "Memoria Passionis" (Leidenserinnerung) nach Johann Baptist Metz bezeichnet, die ausgehend von der Erinnerung an die Opfer immer auch die Frage nach kriegerischen Ereignissen in der Gegenwart in den Blick nehme, hieß es in einer Presseaussendung der Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck am Freitag.
Zu der Veranstaltung in Form eines interdisziplinären Gesprächs hatte die Katholisch-Theologische Fakultät der Uni Innsbruck am 29. April geladen. Die Veranstaltung stand unter dem Titel "Kriege und ihre langen Schatten". Anlass bot das Ende des Zweiten Weltkriegs vor 80 Jahren.
Eröffnet wurde die Tagung, an der auch der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler teilnahm, von der Klinischen Psychologin Pia Andreatta. Sie thematisierte in ihrem Vortrag die unterschiedlichen Dimensionen der Traumatisierung durch Krieg und die Schwierigkeit der Übertragung der Kategorie des Traumas vom individuellen auf den kollektiven Bereich. Dabei sei wahrzunehmen, dass das Recht auf individuelles Schweigen über erfahrene Gewalt dem Schutz der Opfer dienen könne, dass kollektive Schweigen jedoch nur die Täter schütze.
Der Alttestamentler Dominik Markl verwies darauf, dass gerade die biblischen Texte menschliche Erfahrungen mit Gewalt und Traumatisierung zur Sprache bringen, wodurch sie dem Leid Ausdruck verleihen und die vielen offen bleibenden Fragen in einen religiös-spirituellen Kontext einbetten. Dieser könne Raum geben für die Symbolisierung der traumatischen Erfahrung und somit Wege zu deren Bewältigung eröffnen. Er müsse aber auch bleibender ethischer Ansporn für die Arbeit am Frieden sein.
Den Brückenschlag zu anderen Konflikten und kriegerischen Auseinandersetzungen übten bei der Veranstaltung die Romanistin Claudia Jünke und der Theologe Gerald Baumgartner. Jünke setzte sich dabei mit der Aufarbeitung der Argentinischen Militärdiktatur (1976-1983) durch die Schriftstellerin Laura Alcoba auseinander, der Jesuit Baumgartner beleuchtete den Krieg in Syrien, wo er mehrere Jahre lang pastorale Arbeit geleistet hat. Für beide war die Wiedergewinnung von Sprache und Selbstwirksamkeit ein wesentlicher Aspekt des zumindest in Ansätzen heilenden Umgangs mit den Schrecken des Krieges. Dazu können spirituelle Räume und Rituale, ebenso wie die künstlerische Verarbeitung von Erfahrungen einen wesentlichen Beitrag leisten. Die Komparatistin Juliane Prade-Weiss verwies zudem auf die Bedeutung der Anerkennung von Momenten der Mittäterschaft und Schuld.
Quelle: kathpress