
Experte: Erwerbs-, Familien- und Ehrenamtsarbeit gemeinsam denken
Der Präsident des Katholischen Laienrats Österreich, Prof. Wolfgang Mazal, plädiert für einen weiter gefassten Arbeitsbegriff, als dies derzeit der Fall ist. Erwerbsarbeit, Familienarbeit und Ehrenamtsarbeit seien gleichermaßen wichtig, so Mazal im Interview mit der Wiener Kirchenzeitung "Der Sonntag" (Nr. 18/2025) und sprach sich für ein aktuelles gemeinsames Papier von Bischöfen und Laienvertretungen zu sozialen Fragen aus. Mazal lehrt Arbeits- und Sozialrecht an der Universität Wien, leitet das Österreichische Institut für Familienforschung an der Universität Wien und ist seit dreieinhalb Jahren Präsident des Katholischen Laienrats Österreich.
"Im 19. Jahrhundert haben wir den Arbeitsbegriff offensichtlich verengt auf Factory and Office (dt. Fabrik und Büro)", so Mazal. Damit sei Arbeit von anderen Formen existenziell bedeutsamer menschlicher Tätigkeit abgekoppelt worden. "Man glaubt daher, Nachteile und schlechte Konditionen in der Erwerbsarbeit hinnehmen zu müssen, um sie dann mit besseren Konditionen in der Freizeit zu kompensieren." Das ist für den Arbeits- und Sozialrechtler der falsche Ansatz: "Wir sollten die Arbeit in jeder Form gut organisieren und wertschätzen, in Form der Erwerbsarbeit, der Familienarbeit und der Ehrenamtsarbeit."
Arbeit sei für die einzelne Person wichtig zur Identitätsfindung und Sinngebung. In einer arbeitsteiligen Gesellschaft sei es jedoch auch notwendig, dass Tätigkeiten einfach verrichtet würden, "dass Tätigkeiten einfach verrichtet werden, selbst wenn die Sinnstiftung für den Einzelnen gering ist" und keinen Wert zu haben scheine, stellte Mazal klar.
"Der Wert entsteht durch die Außenwahrnehmung. Was als wertvoll gilt, gewinnt seinen Wert durch Wertschätzung." Auch vermeintlich geringe Tätigkeiten verdienten Anerkennung. Eine arbeitsteilige Gesellschaft könne ohne sie nicht funktionieren.
Als Beispiel nannte Mazal Reinigungstätigkeiten: "Es bedarf auch hier großer Wertschätzung. Dann können auch diese Menschen sich wertgeschätzt fühlen, was notwendig ist in einer arbeitsteiligen Organisation."
Junge Menschen leistungsbereit
Der Einschätzung, dass junge Menschen nicht mehr arbeiten wollten, widersprach Mazal: "Jüngere Menschen sind arbeitsbereit. Sie offerieren dem Arbeitsmarkt 30 bis 35 Stunden. Sie sind bereit, wenn es unbedingt notwendig ist, auch auf 40 Stunden zu gehen." Manche Unternehmen verlangten jedoch 50 bis 60 Stunden - ein "unvernünftiges Angebot", das andere Arbeitsformen wie Familienarbeit oder Ehrenamt gefährde.
"Jungen Leuten wird oft unterstellt, sie seien nicht leistungsbereit", so Mazal in Richtung von Personalverantwortlichen: "Nennt sie nicht leistungsunwillig, sondern sagt, die sind sozial kompetent. Die wollen nämlich anders leben als die Vorgeneration, wo sie gesehen haben, dass die Beziehungen typischerweise kippen", erklärte der Arbeits- und Sozialrecht-Experte Unterschiede zwischen den Generationen. Wer stark beruflich eingebunden sei, habe weniger Zeit für Familie und Ehrenamt - beides jedoch sei gesellschaftlich notwendig.
Sorgenkind Familienarbeit
Besorgt zeigte sich Mazal über den Stellenwert der Familienarbeit: "Wir wissen (...), dass Kinder nicht einmal die berühmte warme Mahlzeit bekommen. Wir wissen von den großen Schwierigkeiten der Vereinbarkeit von Familie und Erwerb in der Früh und am Nachmittag und am Abend." Außerfamiliäre Institutionen könnten Familienarbeit nur teilweise ersetzen.
Auch im Pflegebereich gehe familiäre Unterstützung zurück. Zugleich sei der Kinderwunsch in den vergangenen Jahrzehnten stetig gesunken, ebenso dessen Realisierung.
Ein weiteres Thema seien laut Mazal die hohen Kosten älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Vergleich zu jüngeren. Hier seien die Sozialpartner gefragt. In vielen Kollektivverträgen gelte nach wie vor das Senioritätsprinzip. Zwar sei es in den vergangenen Jahren teils abgemildert worden, aber es sei "tief in den Köpfen verankert". Das führe dazu, dass Jüngere oft kein Verständnis für ältere Kolleginnen und Kollegen zeigten, die doppelt so viel verdienten: "Und die machen dann Druck auf die Älteren, der dann wiederum gesundheitliche Probleme erzeugt." Diese Systeme würden alten und jungen Arbeitnehmern schaden und "sie schaden auch der längerfristigen, nachhaltigen Beschäftigung der Älteren".
Eindringlich plädierte der Arbeitsrechtsexperte auch für ein lebenslanges Lernen. Jede und jeder müsse sich regelmäßig auf die Höhe der Zeit bringen mit seinen Qualifikationen.
35 Jahre Sozialhirtenbrief
Darauf angesprochen, dass der letzte Sozialhirtenbrief der katholischen Bischöfe in Österreich bereits 35 Jahre alt ist, meinte Mazal, dass viele Aussagen zwar nach wie vor relevant seien, eine Aktualisierung wäre aber sinnvoll: "Man sollte sich regelmäßig Texte vornehmen und fragen: Passt das noch auf die heutige Zeit? Ich glaube allerdings, wir sollten gerade in diesen Zeiten und Jahren auf synodalem Weg ein gemeinsames Statement von Bischöfen und Laien zu diesen Fragen unserer Zeit zustande bringen." Der Laienrat habe ein Papier erarbeitet, "mit dem man weiterarbeiten könnte und mit dem man gemeinsam mit der Bischofskonferenz dazu ein gemeinsames Wort formulieren kann".
Quelle: kathpress